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Von der Schifffahrt

Torsten Thees

Am 11.November 1848 lag der Ewer „Maria“ unter dem Schiffer Jacob Schlichting aus Neuhaus/Oste bei schönem Wetter und nur mäßigem Wind aus ONO in der Elbmündung bei Tonne CC vor Anker. Nach einer Havarie hatte der Ewer den ganzen Sommer über zur Reparatur in Cuxhaven gelegen und hatte nun eine für Kopenhagen bestimmte Ladung übernommen. Am helllichten Tag um 2 Uhr Nachmittags ging Schiffer Schlichting unter Segel, nahm Fahrt auf und setzte die „Maria“ ohne Umschweife geradewegs auf Scharhörnstrand. Die Besatzung blieb, Schiff und Ladung konnten später geborgen werden.

 

  • So glimpflich verlief natürlich selten eine Havarie, davon künden schon die etwa 2000 Wracks, die nach vagen Schätzungen in der Elbmündung liegen. Alle seefahrenden Nationen haben hier Tribut zollen müssen und Schiffe durch Strandung, Kollision, Sturm oder aber durch Krieg verloren geben müssen.
    Bereits von je her war man sich der Gefahren bewusst, die in der Elbmündung lauern. Um den rechten Weg durch dieses schwierige Gebiet zu finden, orientierten sich die Seefahrer zunächst an natürlichen Erhebungen im Küstenbereich, Hügeln etwa, die ihnen aus der Praxis heraus geläufig waren, oder an Bauwerken wie Kirchtürmen und Windmühlen. Bald jedoch wurden auch Bauwerke errichtet, deren einziger Zweck es war, die Schifffahrt einzuweisen. An erster Stelle ist hier gewiss der Turm auf Neuwerk zu nennen, dessen Vorläufer, eine hölzerne sogenannte Blüse bereits um 1290 gebaut worden ist. Tagsüber diente das Holzgerüst als markantes Seezeichen, nachts wurde auf der Blüse ein mit Steinkohlen betriebenes Feuer unterhalten, das damals den Schiffen allerdings noch nicht den Weg weisen sollte, denn in der Nacht wurde gemeinhin ein solch schwieriger Schifffahrtsweg nicht versucht, sondern das Feuer sollte die Schiffe veranlassen, respektvollen Abstand vor den gefährlichen Untiefen zu halten.

     

    Die Kennzeichnung des Fahrwassers durch das Auslegen von Tonnen ist aus Holland bekannt geworden und für die deutsche Nordseeküste seit 1410 belegt. Hamburg hat mit der Betonnung des Elbfahrwassers um 1450 begonnen, indem die Stadt zunächst 18 Tonnen von der See bis nach Hamburg auslegen ließ, die meisten davon im Unterlauf des Flusses. Die Jahrhunderte brachten ein ständig ausgefeilteres Tonnenwesen , bald wurde nicht mehr nur eine, sondern beide Seiten der Fahrwassergrenzen durch Tonnen bezeichnet und im Jahre 1760 schließlich markierten bereits 100 Tonnen den Seeweg nach Hamburg. Parallel zur Betonnung errichteten die Hamburger im Bereich der Elbmündung zahlreiche Baken, wovon aber nur die Neuwerker Bake und die Große Bake am Westufer der Hafeneinfahrt von Cuxhaven längere Zeit überdauerten. Vermutlich kurz nach der verheerenden Weihnachtssturmflut von 1717 ist dann auch das weithin bekannteste Seezeichen erbaut worden, die Strangflier- oder Kugelbake.
    Mit dem Ausgang des Mittelalters entwickelte sich auch das Lotswesen, das 1575 auf Neuwerk mit zwei „Piloten auf der Elbe“ seinen Anfang nahm. Seit 1610 jedoch wurde der Standort mehr und mehr nach Cuxhaven verlegt und gegen Ende des 17.Jahrhunderts war die feste Station der Lotsen in Cuxhaven. Einige Jahre darauf erwirkte Hamburg für den Bereich der Elbe den ‘Lotsenzwang’. Die Schiffer waren von nun an verpflichtet, einen Lotsen an Bord zu nehmen, weil es immer wieder vorgekommen war, dass allzu kühne Schiffer es allein versuchten und prompt ihr Schiff auf Grund setzten.
    Angesichts der Sicherheitsvorkehrungen ist es wohl nicht weiter verwunderlich, dass die eingangs erwähnte Havarie des Schiffes „Maria“ den Argwohn des Ritzebüttler Amtmannes erregte. Verdächtig waren natürlich die Umstände der Strandung, das schöne Wetter, der mäßige Wind, vor allem aber auch, dass unmittelbar bei der Unglückstelle ein Blankeneser Kutter „auf der Lauer lag“, um dem Havaristen „zu Hilfe zu eilen“, wie aus dem Bericht eines Augenzeugen von Bord des Leuchtschiffes „Jacob Hinrich“ hervorging. Augenblicklich setzten nun die Ermittlungen des Amtmannes ein, die in drei Richtungen zielten: Erkundigungen über den Leumund des Schiffers, Verhöre der Besatzungsmitglieder sowie die Untersuchung des Schiffsrumpfes.
    Entsprechende Anfragen zur Integrität des Schiffers bei Pastor und Bürgermeister in Neuhaus/Oste ergaben lediglich, dass Schlichting ein eher unauffälliger und ruhiger Zeitgenosse sei, der allerdings schon einmal im Verdacht stand, einen Teil seiner Schiffsladung unterschlagen zu haben. Er sei jedoch mangels Beweises freigesprochen worden.
    Die Besatzung führte hinsichtlich des Hergangs aus, dass das Schiff versehentlich eine Tonne überfahren habe und dabei dermaßen leck geschlagen sei, dass der Cuxhavener Hafen nicht mehr zu erreichen gewesen wäre und der Schiffer - um Schiff und Ladung zu retten - die „Maria“ deshalb auf Scharhörn Strand gesetzt habe.
    Einige Tage später, als die Ladung geborgen und das Schiff nach Cuxhaven geschleppt worden war, begannen auf Eggers Werft die Untersuchungen am Rumpf durch eine dreiköpfige Gutachter-Kommission. Das Resultat sprach schließlich gegen die Aussagen der Besatzung und für den Verdacht des Amtmannes: von einer Kollision mit einer Tonne konnte nicht die Rede sein, die Außenhaut war nahezu unbeschädigt. Im Innern des Schiffes fanden sich andererseits deutliche Spuren eines Beitels, als hätte man ein kleines Leck zu vergrößern versucht. Im Übrigen war dieses Loch so klein, dass die „Maria“ ohne weiteres noch Cuxhaven hätte erreichen können.‘Finsterster Dilletantismus beim Versuch eines Betruges’ befand der Amtmann und ließ Schlichting mitsamt seines Steuermanns in Haft nehmen.

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    Im weiteren Verlauf der Ermittlungen offenbarte sich jedoch für den Amtmann ein Problem: er fand keinerlei Motiv, denn wie sich herausstellte, war die „Maria“ zwar 6000 Reichstaler wert, aber nur mit 4000 versichert, so dass Schlichting im Falle des Schiffsverlustes das Nachsehen gehabt hätte. Mutmaßungen, wie etwa die, dass der Schiffer eventuell die beschwerliche Winterfahrt nach Kopenhagen gescheut hätte, waren natürlich sehr weit hergeholt und würden bei Gericht nie und nimmer standhalten.
    Obwohl die Havarie der „Maria“ außerordentlich mysteriös blieb, konnte Anklage so nicht erhoben werden. Die Untersuchungen wurden schließlich eingestellt und Schlichting mit seinem Steuermann auf freien Fuß gesetzt.
    Verblüffend wirken Einsatz und Hartnäckigkeit des Amtmannes bei dieser vergleichsweise kleinen Angelegenheit, bei der weder Mensch noch Material ernsthaft zu Schaden gekommen ist. Die Intensität seiner Bemühungen wird allerdings vor dem Hintergrund deutlich, dass eben schon mehrfach Betrugsabsichten durch Schiffsversenkungen vorgekommen waren, so dass den Ursachen für die etwa 2000 Schiffswracks in der Elbmündung auch noch simple Geldgier zugefügt werden muss.