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Vom Amtmann

Torsten Thees

"Es ist ein ganz eigentümliches Ding um einen solchen Duodezkönig von Ritzebüttel, der fast alles allein und auf eigene Faust abmachen soll. Von Hamburg aus kümmert man sich um nichts und hier ist der Packesel von Amtmann alles in allem. Wenn auf einem beliebigen Bauernhofe die Viehmagd sich mit dem Großknechte über das Schweinefutter veruneinigt, so kommen die Leute ebensogut zum Amtmann gelaufen, als wenn es sich um Hunderttausende handelt, die für Hafenbau und Lotsenwesen ausgegeben werden."

 

 

  • Amtmann Gustav Heinrich Kirchenpauer
  • Diese Zeilen schrieb Gustav Heinrich Kirchenpauer, ein Mann von großer Erfahrung in der Hamburger Politik und Verwaltung, im Sommer 1858 über seine Tätigkeit als Amtmann in Ritzebüttel. Kirchenpauer war der letzte von über hundert Ritzebüttler Amtmännern und konnte somit auf eine uralte Tradition zurückblicken.
    Begonnen hatte alles mit der militärischen Eroberung dieses Gebietes durch Hamburg und der Übernahme der Landesherrschaft von den Lappes im Jahre 1394. Diese neugewonnenen landesherrschaftlichen Rechte übte von nun an im Namen der Stadt Hamburg der "Amtmann" aus. Sein Titel war zuerst noch "castellanus", doch setzte sich im 16. Jahrhundert neben der Bezeichnung "Schloßhauptmann" der Titel "Amtmann" durch.

     

    Aus der langen Liste von Amtmännern, die bis 1864 - 470 Jahre lang - das Amt Ritzebüttel verwalteten, geht hervor, dass die Position mit einer Ausnahme stets aus den Reihen des Hamburger Senates besetzt wurde, woran sich der Wert bemessen lässt, den die Stadt Hamburg auf das Gebiet an der Elbmündung legte. In den ersten hundert Jahren wurde die Stelle häufig sogar mit einem Bürgermeister besetzt, doch lässt sich eine feste Ordnung für die Besetzung der Amtmannsstelle nicht finden, meistens war es einer der älteren und erfahreneren Männer. Im 16. Jahrhundert zum Beispiel war es regelmäßig der im Dienstalter an vierter Stelle stehende Ratsherr. Die Amtsdauer betrug von Anfang an sechs Jahre, doch kam auch die Verpflichtung auf acht, neun oder sogar zwölf Jahre vor.

     

    Das Gehalt des Amtmannes stand nicht von vorneherein fest, es wurde jeweils ausgehandelt. Im Allgemeinen pachtete der jeweilige Ratsherr das Gebiet für eine bestimmte Summe, woraufhin er einen Teil der Einnahmen in die eigene Tasche wirtschaften konnte.

     

    In der Person des Amtmannes liefen die gesamten Fäden der Amtsführung zusammen. Von Beginn an standen ihm richterliche und Verwaltungsbefugnisse zu, nämlich genau jene, die ehedem die Lappes als Grund- und Gerichtsherren schon ausgeübt hatten. Damit war in diesem Gebiet der Amtmann oberster Richter und Hauptverwaltungsbeamter zugleich.

     

    Weiter hatte er das Amt nach Außen zu vertreten und zu schützen und vor Übergriffen benachbarter Länder zu verteidigen, was ihm natürlich auch die Rolle eines Diplomaten und des "obersten Kriegsherrn" im Amte zuspielte. Er führte die Aufsicht über die Gebäude, die zum Schloss gehörten, über die Mühlen und die Vorwerke und er war Vorsteher der Polizei. Die Pflichten des Amtmannes waren mithin so vielfältig, dass im Amt scheinbar nichts geschah, wofür er sich nicht letztlich verantwortlich zeichnete. Die Amtmänner waren durch die Jahrhunderte hindurch außerordentlich selbstständig in ihrem kleinen Reich, zwar der Stadt Hamburg und dem Senat verpflichtet, doch im Allgemeinen ungestört in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, denn eine unmittelbare, wirkungsvolle Aufsicht Hamburgs war aufgrund der Entfernung nicht möglich.

     

     

     

    Insofern war der Amtmann tatsächlich so etwas wie ein König, der fast alles allein und auf eigene Faust abmachen sollte. Wie ein richtiger König hat dann auch der Amtmann seine Untertanen regelmäßig empfangen. Das geschah in sogenannten Dielen- oder Hausaudienzen, denen der Amtmann einen großen Teil seiner Zeit widmen musste und die sich bei den Eingesessenen größter Beliebtheit erfreuten. Denn jeder Einwohner konnte grundsätzlich mit seinen privaten Streitigkeiten, Beleidigungen, Verleumdungen etc. zur Hausaudienz gehen und den Amtmann als Schiedsrichter bemühen. Wenn sich eine beliebige Magd mit dem Knecht über das Schweinefutter veruneinigte, konnten die beiden tatsächlich den Amtmann jederzeit um einen (allerdings nicht bindenden) Schiedsspruch bitten.

     

    Während der Amtmann also aufgrund seiner Aufgaben höchstes Ansehen genoss, mußte er sich doch unter Umständen in den Audienzen auf unterstes menschliches Niveau begeben. Das bekam auch der hier bestens bekannte Amtmann Amandus Augustus Abendroth im Januar 1818 zu spüren, als ihm aus den Reihen "seiner Ritzebüttler Untertanen" ein angeblicher Fall von Sodomie (damals war damit Homosexualität gemeint) zugetragen wurde.

     

     

     

    Der in der Nordersteinstraße tätige Kaufmann J.G.W. Schultze wurde beschuldigt, gegen Herrn Jaeppel, seines Zeichens Provisor bei der Voß´schen Apotheke in der Kleinen Hardewiek, "in dieser Sache" einen entsprechenden "Angriff" unternommen zu haben. Nur allzu bald entpuppten sich drei Briten als die Urheber des Gerüchts: Evans, Gastwirt im "Herzog von Wellington", Lovick, Wirt im "König von England" und ein gewisser John Barton, Kaufmann in der Neuen Reihe. Völlig außer sich über diese Anschuldigung, wandte sich Schultze natürlich an den Amtmann, so daß eine Untersuchung ins Rollen kam und sich in den nächsten Wochen beim Amtmann die Schriftstücke mit gegenseitigen Beschuldigungen häuften, eidesstattlichen Erklärungen und Zeugenaussagen beider Seiten. Am 17. März fiel die Entscheidung Abendroths. Er befahl den drei Briten bei Strafe, die Verbreitung des Gerüchts durch Weitererzählen nicht zu befördern, weil derjenige "sonst als Autor dieses obrigkeitlich für ungegründet erklärten Gerüchts werde angesehen und in Gemäßheit der Statuten bestraft werde. "

     

    Mit diesem Befehl glaubte Abendroth gewiss, die erhitzten Gemüter abzukühlen, die sich längst auch auf höchste Ritzebüttler Kreise erstreckten, doch erreichte er letztlich nur die Ruhe vor dem Sturm.

     

    Etwa ein halbes Jahr später gingen mit John Barton erneut die Pferde durch und er bezichtigte Schultze - "bey einer Bowle Punsch in der Harmonie", einem angesehenen Lokal in der Südersteinstraße - wiederum öffentlich der Sodomie und, des Amtmanns Befehl verwünschend, setzte er gleich noch eins drauf: "I care a damn´d about the governour´s decree."

     

    Schultze bekam natürlich Wind davon, wandte sich prompt in einem mehrseitigen Schreiben wieder an den Amtmann und verlangte diesmal, dass Barton mit 1.000 Reichstalern Strafe belegt werde. Etwa zur gleichen Zeit wurde nun auch noch in einer Art ´Postwurfsendung an alle Haushalte´ bei den Ritzebüttlern eine Schmähschrift in Umlauf gebracht. Der Autor hatte sich sehr viel Mühe gegeben und für einen makellosen zweisprachigen Druck - englisch und deutsch - gesorgt, der ein Gedicht in sechs Strophen enthält mit der Überschrift: Der Sodomiter in Ritzebüttel.

     

     

  • Amtmann Amandus Augustus Abendroth
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    Das war denn doch entschieden zu viel für die braven Bürger Ritzebüttels. In einem gemeinsamen Schreiben an den Amtmann beschwerten sich insgesamt 49 namhafte Bürger, darunter Benöhr, Hübbe, von Brook, Schleyer und Dölle, über den Verfasser, der "unter dem Schutze der Anonymität sich erkühnt hat, an einige von uns, ehrerbietigst Unterschriebene, verschiedene gedruckte Exemplare eines schmutzigen skandalösen Pasquills-Post [Schmähschrift] zu senden." Sie meinten, dass sie "hier niemand kennen, der eines solchen Lasters fähig wäre, wie der Inhalt des Pasquills jemand bezeichnet, und uns, das in diesem Libell benannte Laster, selbst dem Namen nach fremd ist."

     

    Bald wurde in Hamburg auf Betreiben Abendroths der Verfasser der Schmähschrift gefasst. Ein gewisser Johann Friedrich Schmieding gab zu, einen englischen Prosa-Text in englische und deutsche Versform gebracht zu haben. Der Urheber des Ganzen sei er aber nicht, sondern der Text sei ihm von einem Briten übergeben worden.

     

    Schmieding wurde mit "Arrest bey Wasser und Brod" bestraft, der Engländer konnte nicht gefasst werden. Abendroth hatte noch bis ins Jahr 1819 mit der Affäre zu tun, dann beruhigten sich offenbar die Gemüter und alles verlief im Sande. Vor dem Hintergrund dieses Skandals bekommen die Worte Kirchenpauers "König" und "Packesel" einen anderen Sinn und ein anderer augenzwinkernder Ausspruch von ihm wird umso verständlicher: "Das hiesige Amtsgeschäft hat so überaus viel Verdrießliches, Unangenehmes, Abspannendes, dass man nach all den hundert Plackereien, mit denen Bürger und Bauern, Arme und Wohlhabende, Knechte und Mägde, eheliche und uneheliche Mütter, welche gewohnt sind, alle ihre Lappalien dem Amtmanne vorzulegen, einen täglich behelligen, notwendig auch Stunden haben muss, wo man diesen ganzen Unflat menschlichen Gezänkes, Eigennutzes, Neides, Sittenverderbnisses etc. beiseite schieben und vergessen kann."